Eine effektive Suchfunktion ist ein entscheidender Faktor für eine gute Customer Experience in Onlineshops. Durch die Erweiterung mit Künstlicher Intelligenz (KI) können E-Commerce-Unternehmen die Qualität ihrer Produktsuche inzwischen auf ein neues Level heben. Im Interview mit unserem Experten Elias Henrich (Senior Software Architect) klären wir, wie dies mithilfe unserer valantic-Lösung gelingt und welche Vorteile Magento bzw. Adobe Commerce hierfür bietet.
Lieber Elias, es existieren bereits zahlreiche Möglichkeiten, die Suchfunktion in Onlineshops auf konventionelle Art zu optimieren. Aber sind diese Lösungen heutzutage wirklich ausreichend?
Elias: Das siehst du richtig, da der Markt für seiteninterne Suchmaschinen tatsächlich groß und sehr hart umkämpft ist. Meiner Erfahrung nach basieren diese Services alle auf dem gleichen Grundprinzip: Der vom Benutzer eingegebene Begriff wird Zeichen für Zeichen mit den vorhandenen Produkttexten verglichen. Ab einem gewissen Deckungsgrad wird ein Element den Suchergebnissen hinzugefügt und dem Benutzer angezeigt.
Allerdings funktioniert menschliche Sprache in den meisten Fällen leider so nicht, da Gegenstände oft unterschiedliche Bezeichnungen haben. Ein Beispiel: Ein Backofen wird in Österreich als Backrohr bezeichnet, während man im professionellen Umfeld oft den Fachbegriff Konvektomat verwendet. Konventionelle Suchverfahren stoßen hier an eine Grenze, die in ihrer grundlegenden Funktionsweise begründet sind.
Wie kann KI an dieser Stelle weiterhelfen?
Elias: Bei valantic haben wir dafür eine KI-basierte Suchfunktion, für die wir uns am Verständnis eines Sprachmodells bedienen, also der Wissensgrundlage für fortschrittliche Chatsysteme wie zum Beispiel ChatGPT 4. Mit dessen Hilfe sind Worte nicht nur einfache Zeichenfolgen, sondern mit einem inhaltlichen Verständnis des beschriebenen Gegenstands verknüpft. So führen bei unserem Beispiel von eben nicht nur die drei genannten Begriffe zum richtigen Ergebnis, sondern auch Umschreibungen wie zum Beispiel „Gerät zum Backen“ oder sogar Fremdsprachen.
Das hört sich doch nach einem sinnvollen Ansatz an! Wie funktioniert das System denn genau?
Elias: Wie auch bei konventionellen Suchdiensten, müssen die Produktdaten, wie zum Beispiel Beschreibungstexte, in ein anderes Datenformat gebracht werden. Dies ermöglicht eine schnelle Suche und sorgt damit letztlich für eine gute Performance im Benutzer-Frontend.
Einen wichtigen Aspekt habe ich bislang aber verschwiegen: Viele Branchen nutzen technische Bezeichnungen, für das es kein allgemeines Verständnis geben kann. Zum Beispiel ist eine Artikelnummer in der Regel ein technischer Ausdruck, der vielleicht für Insider eine Bedeutung hat, aber von allgemeiner Sprache entkoppelt ist. Daher würde eine reine KI-Suche hier scheitern und einfach zufällige Ergebnisse liefern.
Aus diesem Grund haben wir eine Multi-Modale-Suche entwickelt, die neben der KI-Funktionalität zusätzlich auch die konventionelle Suchfunktion berücksichtigt. So ist sichergestellt, dass wir immer genau die richtigen Suchergebnisse erhalten – sowohl bei Eingabe von Freitext, wie z.B. „Backrohr“ als auch bei Eingabe von Artikelnummer oder Markennamen.
Wenn Unternehmen sich für die Implementierung von KI in die Suchfunktion entschieden haben: Wie läuft das Projekt ab?
Elias: Wir haben die KI-basierte Suchfunktion als Magento-Extension umgesetzt, sodass diese sich nahtlos in bestehende Plattformen integrieren lässt. Natürlich müssen Anpassungen in Sachen Layout und Design erfolgen und eventuell bereits vorhandene Funktionen angepasst werden – das ist aber immer individuell für jedes Projekt zu betrachten.
Eine wichtige Voraussetzung ist, dass die Produktdaten in geeigneter Form vorliegen müssen. Dazu lässt sich aber pauschal keine Empfehlung abgeben, das sollte im konkreten Projekt individuell beurteilt werden. Wir haben das in der Vergangenheit bereits für unterschiedliche Plattformen im Rahmen kleiner Prototypen getan. Die Ergebnisse dieser Analysen waren immer sehr erkenntnisreich und stellen klar gegenüber, welche Vorteile der Umstieg auf die KI-Suche mitbringt. Außerdem reduziert sich dadurch die spätere Entwicklungszeit deutlich, weshalb ich dieses Vorgehen jedem Shopbetreiber empfehlen würde.
Wie verändert sich die Produktdatenpflege denn durch KI?
Elias: Die KI-Suche interpretiert Texte, egal ob Fließtext oder eine lose Sammlung von Stichpunkten. Daher sehe ich das Vorhandensein solcher Inhalte als grundlegende Voraussetzung an. Ist dies bei einer Plattform nicht gegeben, müssen wir die Chancen unserer Lösung erst einmal grundlegend überprüfen, Das große Aber: Wir sind unabhängig von Format und Sprache der Texte, ebenso sind Rechtschreibung oder Datenquelle irrelevant, sodass sich fast immer eine nutzbare Datenbasis finden lässt.
Ein Beispiel aus der Praxis: In einem Onlineshop liegen für Produkte nur der Name sowie ein PDF-Dokument des Herstellers vor. Da dieses Dokument jedoch geschäftskritische Inhalte, wie z.B. Bezugsquellen, beinhaltet, kann es nicht einfach online angezeigt werden. Daher haben wir uns entschieden, dass die KI-Suchfunktion dieses Dokument einliest und es auf diese Weise durchsuchbar macht – ohne dem Benutzer dessen Inhalt zu verraten. So entsteht eine sehr gut informierte und wirklich wertvolle Verständnis-Datenbank als Grundlage für ein tolles Sucherlebnis des Benutzers.
Welche KI-Technologien eignen sich hinsichtlich funktioneller Möglichkeiten und Kosteneffizienz besonders gut für die Suchoptimierung?
Elias: Die Qualität unserer Suchergebnisse steht und fällt mit der Qualität des zugrundliegenden Sprachmodells. Je größer und umfassender dessen Sprachumfang ist, desto zuverlässiger und treffsicherer sind die Ergebnisse. Daher haben wir uns entschieden, in der Regel auf den Marktführer OpenAI zurückzugreifen. Und nebenbei ist diese Variante auch sehr günstig – beim einmaligen Indexieren von über zehntausend Produkten entstehen hier gerade einmal Kosten im zweistelligen Cent-Bereich.
Sollten aber Vorbehalte in Bezug auf Intellectual Property bestehen, können wir jederzeit auf Alternativen umsteigen – auch um zukünftigen Veränderungen Rechnung zu tragen. Denkbar ist ebenso die Verwendung ausschließlich lokaler KI-Modelle, die als Teil der Server-Infrastruktur eingebunden werden. Das nutzen wir schon bei anderen KI-Anwendungen und haben mit dieser Variante durchaus gute Erfahrungen gemacht. Wir orientieren uns hier an den Anforderungen des Projekts und suchen gemeinsam nach der idealen Lösung.
Wie sieht es mit der Einbindung der KI-gestützten Suchfunktion ins jeweilige Shopsystem aus? Welche Vorteile bietet Magento bzw. können wir als erfahrene Magento-Experten bieten?
Elias: Als führender Magento-Partner haben wir die KI-Suche natürlich erst einmal für Magento bzw. Adobe Commerce entwickelt. Hier können wir unsere Kunden ideal beraten und z.B. Schwächen der aktuellen Suchsysteme aufzeigen. Außerdem bietet Magento aufgrund seiner Architektur viele Möglichkeiten, solche tiefgreifenden Änderungen einzufügen, ohne dass dabei andere Features beeinflusst oder gar beschädigt werden.
Wichtig ist mir, zu betonen, dass das grundlegende Konzept der KI-Suche unabhängig vom eigentlichen Shopsystem ist. Man könnte diese Idee auch für andere Plattformen oder Domänen adaptieren. Tatsächlich arbeiten wir aktuell mit unseren valantic-Kollegen bereits an der Integration der KI-Suche in Shopware- und Spryker-Umgebungen. Aufgrund des Erfolgs dieser Technologie denken wir auch über andere Zielsysteme nach. Ich bin mir sicher, dass wir noch öfter von diesem Thema hören werden!
Kannst du uns die Vorteile einer KI-gestützten Suche konkret anhand eines Use Case illustrieren?
Elias: Ja, gerne. Nehmen wir an, dass in unserem Onlineshop Brandmelder angeboten werden und der Kunde nun danach suchen möchte. Gibt er den Begriff „Brandmelder“ ein, werden ihm natürlich passende Artikel angezeigt. Im normalen Sprachgebrauch ist aber häufig vom Begriff „Rauchmelder“ die Rede – eine klassische Suche würde hier aber schon kapitulieren. Die KI-Suche erkennt diesen Zusammenhang problemlos und liefert auch bei dieser Eingabe anstandslos das korrekte Ergebnis.
Unsere Lösung geht aber noch weiter und erlaubt auch die Suche in anderen Sprachen, sodass auch spanische Anwender den gewünschten „detector de humo“ in unserem Shop kaufen können. Auch Umschreibungen, wenn der Benutzer den genauen Begriff für ein Produkt nicht kennt, sind möglich und geben zuverlässig ein passendes Ergebnis zurück.
Blicken wir abschließend über den Tellerrand hinaus bzw. in die Zukunft: Für welche Anwendungen ist die Nutzung der KI-gestützten Suchtechnologie noch denkbar?
Elias: Das ist eine sehr gute Frage, da eine Verständnis-Datenbank nicht nur Grundlage der KI-Suche, sondern noch viel mehr sein kann. So nutzen wir diesen Datenschatz auch schon in ganz anderen Zusammenhängen: zum Beispiel für die Beantwortung spezieller Fragen des Benutzers im Gespräch mit einem Chatbot. Bemerkt dessen Logik, dass der Kunde Detailfragen zu einem Produkt hat, wird die Such-Datenbank als Wissensbasis herangezogen und dient der qualifizierten Antwort. Bildlich kann man das mit einem Verkäufer im Geschäft vergleichen, der auf der Verpackung des Produkts nach der passenden Antwort schaut.
Wir nutzen die Verständnis-Datenbank darüber hinaus zur automatischen Ausleitung von Produktvorschlägen im Warenkorb, damit der Benutzer direkt passendes Zubehör oder andere passende Artikel finden und schnell hinzufügen kann. Auch dieses Thema bieten noch viel Potenzial und wird uns in Zukunft sicher noch häufiger begegnen.
Danke für das Interview, Elias!
Bilder: freepik, valantic