Nachdem sich der Omnichannel-Commerce inzwischen weitgehend etabliert hat, scheint er auch schon wieder überholt zu sein. Stattdessen machen zunehmend Buzzwords wie Unified Commerce oder Seamless Commerce die Runde. Dabei geht es um die optimale Verbindung der verschiedenen Kanäle. Ob daran wirklich etwas innovativ ist, klären wir im Blogbeitrag.
Omnichannel – das scheinbare Nonplusultra
Ein beliebtes Spiel in der Welt des Onlinemarketings ist das „Buzzword-Bingo“: Immer wieder kommen neue Begriffe zu bestimmten Technologien oder Strategien auf, die eine Zeit lang als Trends in der Branche kursieren. Manche Schlagworte können sich tatsächlich mit ihren dahinterstehenden Modellen nach und nach durchsetzen, andere erweisen sich schnell als Eintagsfliegen und verschwinden wieder in der Mottenkiste. Kaum ein Begriff hat sich in diesem ständigen Hin und Her der vergangenen Jahre so etabliert wie der Omnichannel.
Diese Strategie erschien als das einstweilige Nonplusultra unter den Marketing- und Vertriebskonzepten der Onlinewelt: Alle Kanäle eines Händlers – etwa Webshop, Ladengeschäfte, Apps, Social-Media-Accounts und Servicehotline – sind auf einer E-Commerce-Plattform miteinander verbunden. Über ein modernes ERP-System und die passenden Schnittstellen stehen die einzelnen Komponenten permanent im Austausch, so sind überall sämtliche Produkt-, Bestell-, und Kundendaten verfügbar. Dadurch soll für die Kundschaft ein einheitliches und nahtlos-flexibles Kauferlebnis entstehen. So weit, so gut.
Ein zentrales Backend und eine verbindende Plattform
Dass sich allerdings auch dieses bereits sehr rund klingende Konzept offenbar noch optimieren lässt, dürfte die Fachwelt kaum verwundern. So ist in letzter Zeit immer häufiger von Unified Commerce oder Seamless Commerce als einer Art Weiterentwicklung des Omnichannel-Prinzips die Rede. Der Vorteil soll darin liegen, dass die Kanäle nicht mehr auf Basis ihrer eigenen Systeme miteinander verzahnt sind, sondern über eine einzige Plattform angesteuert werden. Diezur Verfügung.
Auf dieser Grundlage soll sich der Fokus der Geschäftsprozesse noch weiter auf die Konsumenten verlagern: Für deren Bedürfnisse können die passenden Maßnahmen an den geeigneten Touchpoints durch das zentrale System ausgespielt werden. Bislang – so ist von den Verfechtern des Unified-Commerce-Ansatzes zu hören – . Nun sind alle Verkaufs- und Interaktionskanäle komplett integriert und zu einem ganzheitlichen Gebilde geformt.
Quelle der Wahrheit: Daten unter einem Dach
Die zentrale Koordination erfordert allerdings die passenden Schnittstellen an allen Touchpoints und eine geeignete Plattform zur Koordination. Letztere wird von der Branche gerne mit einem weiteren Buzzword bedacht, indem sie als „Single Source of Truth“ fungiert. Diese Bezeichnung soll verdeutlichen, dass die verbindende Plattform als einzige Quelle alle benötigten Informationen sammelt und zur Verwertung in den angeschlossenen Touchpoints aufbereitet. Doch ist das, was hinter diesen Begriffen steckt, wirklich so neu und innovativ, wie die sprachliche Verpackung es vermuten lässt?
Bekannte Grundlagen für Unified Commerce
Fest steht schon einmal, dass die einschlägigste Lösung für eine Unified-Commerce-Plattform ein bereits seit geraumer Zeit bekanntes Tool ist – die Digital Experience Platform (DXP). Sie lässt sich mit allen wichtigen Elementen der IT-Infrastruktur eines Unternehmens verbinden, beispielsweise mit dem ERP-, PIM- und CRM-System. Aus diesen Quellen bezieht sie ihre Daten, führt alle Informationen zusammen und bricht bisherige Datensilos auf. Damit wird die DXP quasi zur Steuerungszentrale für alle Touchpoints der Kunden mit dem Onlinehändler.
Eng verbunden mit der DXP ist ein weiteres Buzzword, von dem im Zuge des Unified Commerce oft die Rede ist: Headless Commerce. Dabei geht es um die Trennung von Backend und Frontend. Beide Bereiche können im Headless-Modell unabhängig voneinander arbeiten, ohne sich zu beeinträchtigen. Über APIs können mehrere Systeme verbunden werden und auf die Informationen im separierten Backend zugreifen. Ebenfalls in diesen Kontext gehört der Begriff Composable Commerce, der die geschickte Kombination verschiedenster Systemelemente zu einer hoch effizienten E-Commerce-Landschaft beschreibt.
Composable Commerce und das zughörige Element des Headless-Ansatzes werden beide wegen ihrer integrativen Ausrichtung, bei der unterschiedliche Komponenten Zugriff auf zentrale Datenbestände haben, als Ausprägungen des Unified Commerce beschrieben. Letzterer ist hier also nichts weiter als eine Art für diese zwar noch nicht alten, aber doch schon bekannten Konzepte.
Payment-Dienste bündeln Kundendaten
Abgesehen von der DXP werden in der aktuellen Debatte auch noch andere Systeme als Grundlagen für Unified Commerce genannt, die ebenfalls eine verbindende Wirkung entfalten können – dann jedoch nie in demselben Umfang wie es bei der DXP-Lösung der Fall ist.
Ein Beispiel sind Payment-Systeme, die gerne als Einstiegsmöglichkeit in den Unified Commerce angeführt werden. Gemeint sind hier nicht jene Lösungen, die lediglich eine bestimmtes Bezahlverfahren ermöglichen, sondern umfassende Payment-Plattformen – etwa von Dienstleistern wie Adyen. Alle Online- und Offline-Zahlungen laufen darin zusammen und ergeben einen umfangreichen Datenbestand zum Verhalten und den Vorlieben der Kunden. Dieser kann kanalübergreifend für die Optimierung der Customer Experience genutzt werden. Zudem bietet so eine zentralisierte Payment-Plattform den Kunden eine größere Bandbreite an Bezahlverfahren entlang aller Verkaufskanäle.
Als weiteres Beispiel für einen Unified-Commerce-Ansatz sind Bestell- und Lagersysteme in der Diskussion. Ein modernes Distributed Order Management (DOM) ist darauf ausgerichtet, kanalübergreifend die Bestellungen und Produktbestände zu kontrollieren. Kontingente im Onlineshop und in stationären Geschäften werden abgeglichen und in Balance gehalten. Dabei sammelt das DOM ebenfalls wertvolle Kundendaten und Informationen zur Beliebtheit von Produkten, aus denen sich Maßnahmen für die entsprechenden digitalen Touchpoints der Konsumenten mit einem Unternehmen ableiten. Dazu zählen in diesem Kontext nicht nur Marketingaktionen, sondern auch flexible Kaufabwicklungs- und Rückgabeprozesse über alle Kundenkanäle hinweg.
Fazit: Wenig Innovation, mehr Integration
Insgesamt wird deutlich, dass das Buzzword Unified Commerce an sich zwar keinen bahnbrechend neuen Ansatz beschreibt. Es tut jedoch immerhin das, was es selbst fordert: vereinen – und zwar andere Trends, die ihrerseits nicht unwichtig und auf dem Weg zur Etablierung sind, beziehungsweise sich bereits etabliert haben. Mit dem Fokus auf Ansätze wie Headless und Composable Commerce sowie Datenplattformen und die optimale Verschmelzung aller Kanäle will Unified Commerce letztlich für die Konsumenten ein möglichst perfektes Einkaufserlebnis schaffen beziehungsweise beschreiben. Der Kunde soll noch mehr in den Mittelpunkt rücken als beim bisherigen Omnichannel-Prinzip.
Ob die Welt des E-Commerce für dieses eigentlich selbstverständliche Ansinnen unbedingt das Stichwort „Unified Commerce“ braucht, sei dahingestellt. Zumal der Begriff auch nicht mehr so neu ist, wie heute vielfach beim Buzzword-Bingo suggeriert wird. Schon vor einigen Jahren, zu Beginn des Omnichannel-Denkens, haben einige Fachleute von Unified Commerce gesprochen – seinerzeit aber eher als Ergänzung zum Omnichannel-Prinzip und nicht als dessen nächste Evolutionsstufe.
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