Viele Unternehmen haben sich bei dem Einstieg in den E-Commerce schon mit dem Begriff MVP beschäftigt. Eine beliebte Methode, neues auszuprobieren oder sich langsam ranzutasten. Auch wenn das Verständnis vom Umfang eines MVPs teilweise sehr unterschiedlich ist, kann es vor allem in Zeiten von Corona eine extrem gute Chance sein, die es zu ergreifen gilt.
Die Rücksicht der Nutzer als Chance wahrnehmen
Das Konzept des MVP (Minimum Viable Product) ist kein neues, gehört es doch spätestens seit sich die agile Arbeitsweise flächendeckend etabliert hat, fest zum Repertoire in der Projektentwicklung. Corona und der damit einhergegangene Drang zu mehr Digitalisierung hat das Konzept noch einmal beliebter gemacht. Und das aus einem simplen Grund: Viele Unternehmen sind zunehmend unter Zugzwang, digitale Prozesse einzuführen, um im Laufe der Pandemie nicht abgehängt zu werden.
Aus diesem Grund erlebt diese Herangehensweise gerade ihren zweiten Frühling, auch wenn das wiederum zur Folge hat, dass der Begriff Minimum Viable Product immer dehnbarer wurde. Denn Unternehmen setzen in der aktuellen Situation Projekte um, die eigentlich nicht mehr als MVP durchgehen, da sie von Ansatz und Umfang her zu klein sind. Momentan herrscht die Denkweise: „Lieber irgendein digitales Produkt, als gar keins!“. Das schließt schlichtweg daher, dass ein Großteil der Nutzer und potentiellen Kunden kleinere Mängel oder gar Fehler bei dem digitalen Produkt aufgrund der aktuellen Lage viel eher verzeihen – und das auch bei Unternehmen, die sie kennen und wegen ihres hohen Qualitätsstandards schätzen.
Bedeutet dieses neu gewonnene „Mindset“ auf längere Sicht gesehen ein Verlust der Qualität, beziehungsweise verminderten Qualitätsanspruch? Keineswegs.
Die Komplexität eines MVPs als Quelle zahlloser Möglichkeiten
Um diese knappe Antwort schlüssig zu beantworten, hilft ein Blick auf den ursprünglichen Gedanken des MVPs und „ab wann“ ein solches Projekt gestartet werden sollte. Klar ist zunächst, dass das Konzept MVP in letzter Zeit absolut auf die Spitze getrieben wurde. Viele Dinge sind noch nicht ausgefeilt und würden so eigentlich eher in einem Prototyp landen. Diese Tatsache stützt auch die These, dass das „Minimal“ in Minium sogar noch kleiner gedacht wurde. Ziel eines MVPs sollte es nicht sein, dass aus einem einzelnen Modul eine vollständige, komplexe E-Commerce-Plattform entsteht. Der Anspruch des Einstiegspunktes ist in der Regel höher anzusiedeln. Den vorgesehenen Projektverlauf bringt folgende Metapher sehr gut nahe.
Und so ist laut dieser Grafik ein MVP nicht dazu gedacht, schon bei einem bloßen Konzept gestartet zu werden – sondern aufgrund vorhandener Vorstellungen und Prototypen, ein nutzbares Produkt zu erstellen. Das Minimum Viable Product funktioniert nur, wenn alle Beteiligten ein klares Bild davon haben, wie das Produkt aussehen soll und – viel wichtiger – was es können soll. Somit ergibt sich auch eine natürliche Spanne, wie groß ein MVP in seiner Umsetzung ist. Von wenigen Wochen, bis hin zu mehreren Monaten kann ein MVP entstehen. Dabei muss während der Entstehung ständig über das Erreichte nachgedacht werden und daraufhin die folgenden Schritte angepasst werden – eben ganz nach der Methode der agilen Arbeitsweise. Wie sehr MVP mit der agilen Projektentwicklung verbunden ist, macht die Grafik von Gartner deutlich, in der die verschiedenen Prozesse und der Ablauf einer MVP-Projektentwicklung skizziert ist.
Hier wird deutlich, wie viele Einflüsse auf ein digitales Projekt einwirken und dass alles im Prinzip in einem Kreislauf ständiger Weiterentwicklung stattfindet. Das ist der Knackpunkt, warum die aktuellen MVP-Ansätze nicht unter dem Gesichtspunkt Qualität betrachtet werden sollten, sondern als eine Frage der Weiterentwicklungsmöglichkeiten. Daher ist beispielsweise ein Webshop, der nur als Katalog gilt, über den man aber nicht direkt einkaufen kann trotzdem ein vollwertiges MVP, denn bis auf die Warenkorb- und Checkout-Funktion sind alle Funktionen vorhanden. So ist der situative MVP-Boom zwar bei vielen Unternehmen aus der Not heraus entstanden, aber keinesfalls zu unterschätzen, denn Potential ist bei diesem Ansatz quasi immer vorhanden.
MVP bringt neue Herausforderungen für Entscheider und Projektbeteiligte.
Die erste Herausforderung liegt in der Definition eines MVPs. Das Risiko ist groß in eine „featureities“ zu verfallen und das Unternehmen möchte mehr Funktionen in das Projekt einbauen, als es eigentlich benötigt. Den Fokus vor dem Projektstart und während der Umsetzung nicht zu verlieren, wird deshalb oft unterschätzt. Ein MVP bewusst klein zu definieren, braucht entsprechende Vorbereitung im Rahmen von Requirements Workshops oder einer Discovery-Phase. Nicht MVP-relevante Änderungswünsche können dann den Backlog als mögliche Erweiterung für die künftigen Ausbaustufen des Projektes füllen. Folglich gilt: Je kleiner das MVP und dessen Umsetzungszeitraum, umso wichtiger die Anforderungsphase.
MVP als große Chance sehen und auch wahrnehmen
Alle zunächst neuen und daher ungewohnte Ansätze haben zuvorderst die gleiche Voraussetzung: Den Mut, sie umzusetzen. Und genau darum geht es letztendlich bei einem MVP. Besonders bei der Digitalisierung eher behäbige B2B-Unternehmen sollten die Pandemie als einmalige Chance nutzen, jetzt mit einem MVP als Starthilfe im E-Commerce Fuß zu fassen. Wie eingangs erwähnt, verzeihen die Kunden aktuell noch viel, denn es kommt vor allem auf die Funktionalität an. Bei Firmen, die vorher schon hochwertige Digital-Produkte – wie zum Beispiel eine schicke App – hatten, ist die Erwartungshaltung natürlich ungleich höher.
Aber auch wir bei netz98 merken aufgrund der zahlreichen Anfragen, dass das MVP so etwas wie ein Türöffner für sowohl ganz akute Anforderungen, als auch ein Katalysator für weitere Projekte sein kann. Das sich daraus ein vollumfänglicher digitaler Wandel, inklusive hochwertiger E-Commerce-Plattform entwickeln kann, ist mittlerweile sogar eher die Regel, als die Ausnahme.
Bilder: Fred Voorhorst, Gartner