Sind WhatsApp oder der Facebook Messenger nur eine nette Smartphone-Spielerei, um sich schnell mit Freunden oder der Familie auszutauschen? Nein. Über Messenger können mittlerweile auch Produkte gekauft oder Dienstleistungen gebucht werden. Entsteht hier ein neues, gewaltiges Potential für den E-Commerce?
Facebook kopiert den Rivalen aus China
Den Facebook Messenger kann man nicht nur zum Chatten, sondern auch zum Bestellen von Pizzas nutzen. Diese Neuerung wurde im April 2017 auf der Hausmesse F8 angekündigt, nun ist das Feature verfügbar. Was sich in unseren Ohren wie eine kleine Revolution anhören mag, ist im fernen Osten bereits ein alter Hut. Über WeChat, dem chinesischen Pendant zu WhatsApp oder dem Facebook Messenger, der von rund einer Milliarde Menschen genutzt wird, lässt sich schon länger Essen bestellen, Geld überweisen oder eine Reise buchen.
E-Commerce und E-Business über Messenger sind in China gang und gäbe, im Westen entwickelt sich diese neue Form des Smartphone-Business‘ erst noch. Damit sollen laut Analysten in den kommenden Jahren Umsätze von mehreren Milliarden erwirtschaftet werden. Kein Wunder, immer mehr Menschen kommunizieren über Messenger – Tendenz: weiterhin steigend.
Eignen sich WhatsApp und der Facebook Messenger als E-Commerce-Plattformen?
Die Idee, Dienstleistungen über einen Messenger anzubieten, ist nicht ganz neu. Zum Beispiel bietet das deutsche Start-up TravelHomie schon seit ein paar Jahren eine Art virtuelles Reisebüro per Facebook-Chat an.
Besitzen Messenger das Potential für neue Einnahmequellen? Oder werden Facebook Messenger und WhatsApp auch in den nächsten Jahren in Sachen E-Commerce ein Nischendasein fristen? Wir haben uns mit Maximilian Soltner (28), Gründer von Travel Homie, über diese und weitere Fragen unterhalten.
netz98: Dienstleistungen und E-Commerce über Messenger abwickeln, das ist in China bereits ganz normal. Warum tun sich westliche Unternehmen wie Facebook mit solchen Features noch schwer?
Maximilian Soltner: Wir sehen in Deutschland und anderen Ländern den rasanten Anstieg der mobilen Internetnutzung. Hauptsächlich werden dabei Apps wie WhatsApp, Facebook Messenger und andere Messenger genutzt. Doch gerade hierzulande haben wir allerdings die Problematik des Datenschutzes. Deutsche Unternehmen tun sich daher recht schwer damit, verkaufsrelevante Daten über Server in den USA (im Beispiel von Facebook) zu schicken. Dies ist gerade im Bereich der Transaktionen natürlich eine große Hürde.
netz98: Wird es aus Ihrer Sicht bald auch möglich sein, über WhatsApp oder den Facebook Messenger Einkäufe zu erledigen?
Maximilian Soltner: Ja, ich denke schon. Gerade Facebook arbeitet hier sehr stark auf die eigenständige Plattform des Messengers hin. Der erste Schritt wurde dabei bereits vor Jahren gemacht: Auf dem Handy ist der Facebook Messenger nicht mehr in die eigentliche Facebook-App integriert, sondern ausgelagert und als eigenständige Platform erreichbar. Dies hat eine sehr starke Ähnlichkeit zu WeChat in Asien.
Vor gut anderthalb Jahren wurden dann die Messenger-Bots vorgestellt. Ein weiterer Schritt in die richtige Richtung. Doch dieser Schritt ist leider alles andere als perfekt.
netz98: Was meinen Sie damit?
Maximilian Soltner: Die derzeitigen Bots bieten oft keinen Mehrwert im Vergleich zur normalen Website oder App-Nutzung. Oftmals ist es sogar schwieriger beziehungsweise aufwendiger im Messenger eine Aktion, wie zum Beispiel eine Suche nach einem Flug, zu vollziehen. Dies geht auf der mobilen Website der Airline auch weiterhin deutlich schneller und im gewohnten Umfeld.
Daher ist es einerseits wichtig, das neuartige Interface – die Messenger-Plattform – dem Nutzer zu erklären und andererseits einen wirklichen Mehrwert durch diese Nutzung für den Nutzer zu schaffen. Dies ist aus meiner Sicht bei den wenigsten Bots heutzutage bereits der Fall, hier ist noch deutlich Luft nach oben.
netz98: Welche Lösung könnte es hierfür geben?
Maximilian Soltner: Den meisten Mehrwert sehe ich persönlich derzeit in einer Kombination aus Mensch und Maschine. Ein Ansprechpartner der mich mit Informationen versorgt, die ich online sonst nicht finde. Dies ist natürlich eine große Herausforderung für die Unternehmen. Wir haben dies bei unserem mobilen Reiseberater über WhatsApp und Facebook gemerkt: Im Chat erwartet der Nutzer eine Antwort innerhalb von Minuten. Hier kann die Technik unterstützen. Aber bis sie selbstständig alle Eingaben des Nutzers eindeutig versteht oder so gezielt und persönlich auf Anfragen reagieren kann, vergeht noch einiges an Zeit.
Hier kommt der menschliche Berater ins Spiel. So könnte beispielsweise die Beratung eines Optikers, welche Brille am besten zu meiner Gesichtsform passt, durch meinen persönlichen, menschlichen Ansprechpartner erfolgen. Der Kaufprozess könnte dann aber von einem Bot begleitet werden.
netz98: Welche Auswirkungen hat das auf das Einkaufserlebnis?
Maximilian Soltner: Die Verknüpfung aus Mensch und Bot lässt ein Erlebnis entstehen, das der Nutzer anderswo online nicht bekommt. Ein Anruf bei der Hotline oder sogar der Gang zum Optiker um die Ecke wäre notwendig, um die ganz persönliche Beratung zu erhalten. Im Messenger ist alles eng mit dem Nutzer und seinen ganz persönlichen Eingaben verbunden. Er fühlt sich auch unserer Erfahrung nach dann sehr gut beraten und baut viel schneller Vertrauen zu einem Messenger-Kontakt als zu einer Webseite oder App auf.
netz98: Was sind aus Ihrer Sicht die größten Hürden und Hindernisse bei Business-Projekten, die über Messenger ablaufen?
Maximilian Soltner: Es geht hier vor allem um die Einfachheit des Interfaces sowie den Mehrwert den die Messenger bieten. Spiegeln sie einfach nur die Funktionen einer Website wider, bringt dies keinen Vorteil. Ganz im Gegenteil, Messenger machen es sogar oft schwieriger und aufwendiger.
netz98: Was bedeutet das im Detail?
Maximilian Soltner: Aktuell gaukeln die Bots noch viel zu oft ein menschliches Verhalten vor. Es wird beispielsweise künstlich die Antwortzeit verlängert, die typischen springenden Punkte im Messenger werden angezeigt – die Gegenseite tippt angeblich also gerade etwas. Der Fokus liegt derzeit also primär darauf, die Technik zu vermenschlichen und dem Nutzer etwas vorzumachen. Viel mehr glaube ich, muss den Nutzern klar gemacht werden, wann sie mit einem Bot interagieren und was dies technisch bedeutet.
Wichtig ist doch zu verstehen, dass die Daten, genau wie auf einer Website auch, ganz persönlich und geschützt verarbeitet werden. Dies müssen natürlich auch die Plattformen, also Facebook mit seiner Messenger-Plattform oder WhatsApp, gewährleisten. Erst sobald der Nutzer das neue Interface verstanden und akzeptiert hat, kann er es optimal und gewinnbringend für alle Beteiligten nutzen. Solange wir den Nutzern hier noch etwas vormachen müssen wird das Vertrauen nicht aufgebaut werden können.
netz98: Ist E-Commerce über den Facebook Messenger oder WhatsApp trotzdem ein Markt der Zukunft?
Maximilian Soltner: Ich denke, der Messenger ist eine Übergangslösung. Der wirkliche Mehrwert in der Kommunikation kommt doch erst durch die Sprache. Wir erleben gerade die nächste Welle an Bots, diesmal aber auf Sprachplattformen wie Amazon Alexa, Apple Siri oder Microsoft Cortana. Die Funktion hinter diesem Sprach-Interface ist sehr ähnlich zu dem eines Chatbots. Der Markt mit Sprachassistenten wird meiner Meinung und Erfahrung nach deutlich größer und relevanter für den E-Commerce als der Markt mit Messengern.
netz98: Warum? Haben Sie hierfür ein Beispiel?
Maximilian Soltner: Wir haben kürzlich eine der größten deutschen Versicherungen dabei unterstützt, einen Bot für Amazon Alexa zu bauen. Die Interaktion für den Nutzer ist hier deutlich einfacher, da zum ersten Mal ein wirklicher Vorteil gegenüber Apps, Chatbots oder auch Webseiten besteht. Die Kunden können das Voice-Interface sehr einfach über ihre Sprache steuern, ein lästiges Tippen entfällt.
Die ersten Apps auf diesen Geräten stecken natürlich gerade noch in den Kinderschuhen – ein wirklicher Mehrwert ist hier derzeit meist noch nicht geboten. Dennoch: Das Conversational Commerce via Voice wird der Markt der Zukunft.
netz98: Könnten Chatbots die digitalen Verkaufsberater von morgen sein?
Maximilian Soltner: Es wird noch lange dauern, bis Chatbots tatsächlich die menschliche Sprache verstehen können. Hierfür sind sehr viele Daten, die als Lernbasis für die Bots dienen, notwendig – viel mehr als die meisten Unternehmen online bereits haben.
Ich denke aber, gerade Sprachsssistenten wie Amazon Alexa oder Google Home, die derzeit in unsere Wohnzimmer einziehen, werden in Zukunft als Berater oder menschenähnlicher Helfer dienen. Man sieht bereits heute, dass in der digitalen Kommunikation – gerade bei großen Onlineshops – immer weniger Menschen für die Bearbeitung von Support-Anfragen pro Anfrage benötigt werden.
Die Technik unterstützt vieles bereits heute, sie wird immer besser werden und immer mehr Anfragen selbstständig übernehmen können. So weit, dass wir nur noch mit Maschinen kommunizieren, sind wir aber noch nicht. Ob wir da jemals hinkommen werden, bezweifle ich. Ich bin fest davon überzeugt, dass Vertrauen primär durch die Kommunikation mit Menschen entstehen kann.
netz98: Kommen wir zurück zu den Messengern an sich. Sind sie nur für B2C-Geschäfte oder auch fürs B2B-Business interessant?
Maximilian Soltner: Gerade im B2B-Bereich gibt es einen großen Mehrwert. Hier sind oftmals noch sehr veraltete Prozesse bei den Unternehmen integriert. Die nachwachsende junge Zielgruppe ist im privaten Umfeld aber immer mehr an eine sehr schnelle Kommunikation wie über Messenger gewohnt. Unternehmen können punkten, wenn sie auf diesen Kanälen auch ihren Service-Partnern oder Kunden zur Verfügung stehen.
netz98: Was meinen Sie damit genau?
Maximilian Soltner: Viele Standard-Fragen werden zum Beispiel auch heute schon beim Anruf im Call-Center über Vorlagen abgefangen. Die meisten Rückfragen und Probleme sind bekannt und können mit vorgefertigten Antworten sehr einfach bearbeitet werden. Dies lässt sich also auch über einen Messenger sehr effizient und dennoch für den Kunden oder Partner sehr persönlich abwickeln. Hier sehen wir großes Potenzial. Menschen arbeiten schließlich immer mit Menschen zusammen. Überall, wo Kommunikation stattfindet, können Messenger die gute alte E-Mail oder auch das Telefonat ersetzen.
netz98: Ihr Unternehmen TravelHomie ist als Reiseberater per WhatsApp gestartet, mittlerweile bieten Sie Ihr „virtuelles Reisebüro“ nur noch per Facebook-Chat an – warum?
Maximilian Soltner: WhatsApp ist hier schlicht sehr langsam. Die offiziellen Schnittstellen fehlen seit Jahren. Facebook möchte sich mit WhatsApp primär in der privaten, sehr persönlichen Kommunikation etablieren. Die Nutzerschaft erwartet das auch – ein sehr heikles Thema also, in diesem extrem privaten Umfeld die Kommunikation mit Unternehmen einzuführen. Wir haben WhatsApp sehr gerne für die Mensch-zu-Mensch-Kommunikation genutzt, technisch ist hier allerdings bis heute noch nicht sehr viel möglich.
netz98: Das bedeutet, der Facebook Messenger ist besser für das Messenger-Business geeignet?
Maximilian Soltner: Ja. Hier gibt es seit längerem die offiziellen Schnittstellen. Je mehr Technik wir nutzen wollten, desto einfacherer wurde also der Facebook Messenger. Dies war für uns der logische nächste Schritt. Wir verfolgen allerdings sehr gespannt die letzten Ankündigungen von WhatsApp zur Öffnung des Systems durch eine offizielle API, gegebenenfalls sind wir also auch bald wieder auf WhatsApp am Start.
Gerade in Deutschland ist WhatsApp ungeschlagen an erster Stelle, gerade weil die Kommunikation so persönlich ist und die Nutzer sich daran gewöhnt haben. Die Conversion Rates über WhatsApp sind bis heute bei uns ungeschlagen.
netz98: Vielen Dank für das Interview und viel Erfolg, Herr Soltner!