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Digitalisierung Interview (Bild: Freepik)

Digitalisierung ist eine Frage der Einstellung, nicht der Technik

Digitalisierung. Dieses Buzzword darf heutzutage in keiner Unternehmenspräsentation fehlen. In unserem Interview erklärt ein Experte, wie Unternehmen mit dem digitalen Wandel umgehen sollten.

Der digitale Wandel beginnt im Kopf

Wenn von der Digitalisierung geredet wird, wird dabei gerne so getan, als handele es sich um etwas vollkommen Neues. Und um einen Trend, der zeitlich begrenzt sei. Eine Fehleinschätzung! Dr. Klaus Reichert, Unternehmensberater für Innovation und Business Design, erklärt in einem Interview mit dem neuen netz98-Magazin eCOM|MAG, wie mit der Digitalisierung umgegangen werden sollte.

netz98: Die Digitalisierung treibt gerade die Wirtschaft an. Und das mit einer hohen Taktung. Wie können Unternehmen hiermit umgehen?

Dr. Klaus Reichert
Dr. Klaus Reichert: Digitalisierung ist ja erstmal eine Chance für Veränderungen. Eine Aufforderung des Marktes, das eigene Business aus neuen Blickwinkeln zu betrachten und Impulse für einen Transformationsprozess abzuleiten. Während es für manche nicht schnell genug gehen kann, sind die meisten Menschen den Veränderungen eher abgeneigt. Meiner Erfahrung nach lassen sich 20 Prozent gerne darauf ein, die restlichen 80 Prozent wollen nicht, dass sich etwas verändert.

netz98: Wie ist diese Abneigung zu lösen?

Dr. Klaus Reichert: Wir müssen vor allem lernen, mit Unsicherheit umzugehen. Mein persönlicher Favorit für Entscheider: Die Unternehmensplanung weiterhin auf fünf Jahre erstellen, aber mindestens alle zwei Jahre komplett infrage stellen, besser jährlich. Bringt das Unsicherheit? Ja, in einer guten Weise. Je früher wir als Gesellschaft, als Unternehmen und als Beteiligte lernen, damit umzugehen, außerhalb unserer Komfortzone zu leben, desto besser werden wir anstehende Änderungen konstruktiv nutzen.

netz98: Klingt gut. Aber wie setzt man diese Änderungen um?

Dr. Klaus Reichert: Um am Fortschritt dran zu bleiben, brauchen wir einfache und vor allem regelmäßige Vorgehensweisen im Unternehmen. Dazu gehören sogenannte agile Methoden, die wir aus Softwareunternehmen abgewandelt auf andere Organisationen übertragen können

netz98: Kommen wir zurück zu den Veränderungen. Ist die Digitalisierung, so wie oft getan wird, ein neuartiger Trend?  

Dr. Klaus Reichert: Digitalisierung reiht sich ein in eine lange Kette von Veränderungsschüben. Die meisten von uns haben keine anderen großen Umwälzungen erlebt, deswegen tendieren wir dazu, diese aktuelle Phase subjektiv zu überhöhen und deren Bedeutung überzubetonen. Digitalisierung ist ja nichts Neues, aber sie kommt gerade in der Mitte der Gesellschaft an. Das Thema wird jetzt von denen entdeckt, die es bisher eigentlich verschlafen haben. Und dann zwangsläufig als etwas Neues sehen müssen. Das verzerrt meiner Ansicht nach den Blick auf die Prioritäten.

netz98: Was bedeutet das für Unternehmen?

Dr. Klaus Reichert: Sie sollten ihren strategischen Fokus nicht auf das Thema „Digitalisierung“ legen, sondern auf den Umgang ihrer Organisation mit dem Neuen. Wenn sie es schaffen, Wege zu finden, ihre Strukturen für Innovationen fit zu machen, schaffen sie automatisch auch taktische Möglichkeiten für ständige neue Entwicklungen. Denn die Digitalisierung ist ja kein homogener Block, sondern eine Vielzahl an Technologien, Konzepten, Plattformen, Geräten, Chancen und Herausforderungen. Dieser Umgang mit der Veränderung muss als Tagesgeschäft angelegt sein. Bei der Geschäftsführung und bei den Mitarbeitenden. Und daran mangelt es in vielen Betrieben in Deutschland.

netz98: Warum sollten sich Unternehmen verändern? Gerade im deutschen Mittelstand läuft es doch prächtig.

Dr. Klaus Reichert: Wenn Unternehmen den Umgang mit dem Neuen nicht lernen, ist die Gefahr groß, dass sie sich wie Eisblock-Hersteller des ausgehenden 19. Jahrhunderts verhalten. Diese hatten mit ihren genormten Eisstangen ihre Betriebe und Logistik hoch effizient organisiert, sowie die internationalen Märkte dominiert. Erzeugt und weltweit ausgeliefert wurden dabei viele Millionen Tonnen Eis pro Jahr, die in der Industrie und in Kühlboxen, auch in Haushalten, verwendet wurden. Bis die elektrische Kälteanlage das Thema Kühlung revolutioniert und das Eis-Business innerhalb kurzer Zeit komplett zerstört hat. Kein Eishersteller wurde Kühlschrankhersteller
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netz98: Wie können gerade Geschäftsführer dafür sorgen, dass ihr Unternehmen nicht durch fremde digitale Innovationen und Disruptionen bedroht wird?

Dr. Klaus Reichert: Mit einem Fokus auf die Innovationsfähigkeit des eigenen Betriebes und Netzwerkes. Den kann man aufbauen. Im konkreten Fall der Digitalisierung bzw. der Digitalen Transformation beginnt das für mich mit dem Smartphone und den darauf installierten Apps der Geschäftsführung. Ist es im aktiven Einsatz für eine Vielzahl von täglichen Arbeiten, eingebunden in Workflows und wird es von seinem Nutzer virtuos gehandhabt, weiß ich als Innovationscoach, dass die Digitalisierung des Betriebes kaum Probleme bereiten wird. Digitalisierung ist eine Frage der Einstellung, nicht der Technik. Und sie ist zuallererst die Aufgabe des CEO, der den Nutzen sieht, und nicht des CIO.

netz98: Bei der Digitalisierung geht es nicht darum, analoge und bestehende Prozesse in digitale abzubilden. Das geschieht häufig nicht. Warum?

Dr. Klaus Reichert: Die Basics haben wir häufig. Wir kombinieren sie nur noch nicht richtig miteinander. Zum Beispiel bei der Kommunikation. Auf einer persönlichen Ebene hat jeder mittlerweile ein Smartphone mit einem Messenger wie WhatsApp. Doch wie viele Firmen setzen den Messenger auch offiziell für die Kommunikation im und um das Unternehmen ein? Oder im Büro nutzen wir vielfach Word, Excel und PowerPoint, um die spannendsten Dinge zu erarbeiten. Doch wie häufig senden wir Versionen herum, anstatt daran gemeinsam und gleichzeitig zu arbeiten? Es fehlt also an der Vernetzung. Der Nutzen des Einzelnen steht noch über dem gemeinsamen Vorteil.

netz98: Welche Fehler werden noch gemacht?

Dr. Klaus Reichert: Wird eine neue Software eingeführt, sollten die Unternehmensprozesse an die der Software angepasst werden. Zum Beispiel im E-Commerce. Das reduziert Kosten, spart Zeit und führt zu einer Anpassung des Unternehmens an die neuen Voraussetzungen am Markt. Viele Firmen machen es aber leider anders herum. Sie zahlen viel Geld extra, um alte Prozesse in der Software abzubilden. Sie verschenken damit die Chance der Weiterentwicklung.

netz98: Was muss getan werden, wenn ein Unternehmen den digitalen Wandel angestoßen hat?

Dr. Klaus Reichert: Wurde ein Veränderungsimpuls angestoßen, sollte man ihn als Unternehmen aktiv weiter nutzen, um die eigenen Prozesse und Leistungen der Firma zu erneuern. Gewöhnt man eine Organisation an ständige Innovation, geht das irgendwann fast wie auf Autopilot. Das dauert zwar, ist aber eine der wenigen Möglichkeiten, langfristig Relevanz am Markt zu haben.

netz98: Herr Reichert, vielen Dank für das Interview!


Weitere lesenswerte Artikel rund um die Themen E-Commerce und Digitalisierung haben wir in der neuen Ausgabe unseres eCOM|MAG für Sie zusammengestellt:

netz98 eCOM|MAG 4 Download

Bilder: Freepik, Dr. Klaus Reichert

 

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Hartwig Göttlicher
Hartwig Göttlicher
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