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Mikrotransaktionen: Ein Lehrstück für den E-Commerce

Die Games-Industrie gehört zu den größten der Unterhaltungsbranche. Großflächige Marketing-Aktionen und gut durchdachte Umsatz-Strategien tragen zum Erfolg bei. Dazu gehören auch Mikrotransaktionen. Eine Geschäftsstrategie, von der sich der E-Commerce etwas abschauen kann.

Was sind Mikrotransaktionen?

Die Computer- und Videospiele-Branche gehört mittlerweile zu den umsatzstärksten Medienzweigen der Welt. Allein in Deutschland ist 2017 der Markt auf 3,3 Milliarden Euro angewachsen und der weltweite Umsatz stieg um 15%. Die immer größere Nachfrage und nicht zuletzt auch der riesige Smartphone-Markt tragen zu dem enormen Erfolg bei.

Natürlich helfen dabei auch geschickte Geschäftsmodelle, um Geld in die Kassen der Entwickler und Anbieter zu spülen. Das derzeit wohl erfolgreichste Geschäftsmodell ist das Angebot von sogenannten Free-2-Play-Spielen, wozu viele Spiele-Apps und Onlinespiele gehören. Free-2-Play bedeutet, das Herunterladen, Installieren oder Spielen kostet die Nutzer kein Geld. Zumindest in der Theorie. Die Anbieter verdienen stattdessen mit sogenannten Mikrotransaktionen.

Activison-Blizzard, ein Goliath der Videospiel-Branche, verdiente im Jahr 2016 alleine vier Milliarden Dollar mit Mikrotransaktionen – weit mehr als die Hälfte des Gesamtumsatzes. Ein beträchtlicher Teil davon kommt von deutschen Kunden. Der Bundesverband für Interaktive Unterhaltungssoftware (BIU, mittlerweile in GAME umfirmiert) stellte vor einem Jahr fest, dass der Umsatz mit Mikrotransaktionen von 2015 auf 2016 in Deutschland um 17% auf 659 Millionen Euro anstieg.

Umsatz Mikrotransaktionen Deutschland 2016 /Quelle: Bundesverband Interaktive Unterhaltungssoftware

Umsatzzahlen Mikrotransaktionen in Deutschland im Jahr 2016. Quelle: Bundesverband Interaktive Unterhaltungssoftware

 

Wie der Name bereits andeutet, handelt es sich bei Mikrotransaktionen um sehr kleine Geldbeträge, die in ihrer Summe großen Umsatz generieren – getreu dem Motto „Kleinvieh macht auch Mist“. Das Konzept dahinter ist so einfach wie effektiv.

Ein Beispiel: Der Nutzer lädt sich ein kostenloses Aufbaustrategie-Spiel auf sein Smartphone herunter. Er baut die ersten Gebäude und findet schnell Gefallen daran, seine Siedlung wachsen zu sehen. Mit den wachsenden Anforderungen steigen auch die Bauzeiten. Eine Schmiede, deren Aufbau anfangs noch 60 Sekunden dauerte, benötigt im späteren Spielverlauf sechs Stunden zur Fertigstellung. Diese Zeit könnte der Nutzer abwarten. Oder sich direkt im Spiel für 50 Cent eine Baubeschleunigung kaufen.

50 Cent oder ein bis zwei Euro, solche Beträge tun niemandem weh. Wer Gefallen an einem Spiel hat, gibt diese kleinen Beträge gerne aus. Genau mit diesem relativ vorhersehbaren Verhalten verdienen sich die Spielehersteller teilweise eine goldene Nase. Denn selbst wenn sich nur 10.000 von 500.000 Nutzern zu solch einem Kauf hinreißen lassen, sind das schon 5.000 Euro für einen unbedeutenden Zeitgewinn.

 

Pay-To-Win oder nicht?

Spiele mit solchen Echtgeld-Mechaniken gibt es inzwischen wie Sand am Meer. Dazu gehören beispielsweise „Candy Crush Saga“, „Goodgame Empire“ oder „Clash of Clans“. Der Free-2-Play-Gedanke, gepaart mit diesen sogenannten In-Game-Käufen ist bei einigen Anbietern fast eine bombensichere Gelddruckmaschine. Voraussetzung ist natürlich, dass das Spielprinzip etwas taugt und eine gewisse Langzeitmotivation hergibt. So liegt auch die Hemmschwelle der Nutzer, etwas Geld für das Lieblingsspiel auszugeben, niedriger.

Ein Haken hat die Sache: Das vorher genannte Beispiel ist ein klassischer Fall von „Pay-2-Win“. Bedeutet: Ohne ständig Geld hineinzustecken, haben die Spieler keine Chance, um auf Dauer mit der Konkurrenz mithalten zu können. Solche Umstände schaffen Abhängigkeiten und unfaire Wettbewerbe und sie stehen deshalb völlig zu Recht immer mehr in der Kritik.

Einer der prominentesten Pay-2-Win-Vertreter ist das Kartenspiel „Hearthstone: Heroes of Warcraft“ für Smartphones, Tablets und Computer. Dort können die Spieler wahlweise mit mühsam erspielten Goldmünzen oder mit Echtgeld neue virtuelle Kartenpackungen kaufen. Darin befinden sich immer fünf zufällige Karten, von unterschiedlichstem Wert und Seltenheit. Einige besonders seltene Karten können dem Spieler, der sie besitzt, erhebliche Vorteile verschaffen. Deswegen gilt auch hier die Prämisse: Wer mehr ausgibt, hat mehr Chancen auf gute Karten, ergo auch höhere Gewinnaussichten.

Unter diesem Gesichtspunkt ist die Bezeichnung „Free-2-Play“ nur die halbe Wahrheit. Besonders auf dem Smartphone-Markt ist dieses Konzept sehr beliebt. Denn die Bereitschaft eine Spiele-App kostenlos herunter zu laden und Ingame-Items zu kaufen ist deutlich höher, als im Vergleich ein „richtiges“ PC- oder Konsolenspiel für 40 bis 60 Euro zu erstehen.

 

Nicht alle Free-2-Play-Modelle sind Pay-2-Win

Bevor ein falscher Eindruck entsteht, muss erwähnt werden, dass nicht alle Varianten von Mikrotransaktionen auf Pay-2-Win-Szenario abzielen. Die allerersten Entwürfe waren rein kosmetischer Art, die meisten sind es bis heute. Beispielweise kann man für seine Spielfigur ein neues Gewand, einen neuen Look für die Waffe oder Ähnliches für einen Minimalbetrag erstehen. Diese kleinen Änderungen betreffen nur die Optik, ändern aber nicht die Attribute des Charakters.

Eine Investition wird also rein aus dem Wunsch nach Individualisierung getätigt. Und auch dieses Konzept funktioniert blendend, denn fast immer ist dies mit einem gewissen Glücksspielfaktor verbunden. Die besagten Einzelteile sind meist mit vielen weiteren Items in sogenannten „Lootboxen“ enthalten. Beim Öffnen entscheidet der Zufall, welches Teil davon dann herausspringt. Ist das Gewünschte nicht dabei, kauft der Spieler sich eben eine neue Kiste und hofft wieder auf das richtige Ergebnis. Ein Teufelskreis, der vor allem wegen des hohen Suchtpotentials in jüngster Zeit sehr stark in Verruf geraten ist.

 

Lootboxen: Zwischen Sammelspaß und Glücksspiel

Die Idee, den Spielern eine Art Überraschungsei anzubieten und einen Personalisierungs-Wettbewerb voranzutreiben, ist eigentlich schon relativ alt. Bereits 2010 führte das Videospiel-Unternehmen Valve in seinem Multiplayer-Shooter „Team Fortress 2“ Lootboxen ein. Der Clou daran: Über die ebenfalls von Valve entwickelte digitale Vertriebsplattform „Steam“ können die erhaltenen Items über den hauseigenen „Community Market“ für Echtgeld versteigert werden. Vom Verkaufspreis gehen dann 5-10% als Transaktionsgebühr an Valve. Hauptsächlich die Lootbox-Gegenstände der beiden aktuellsten hauseigenen Spiele „Counter-Strike: GO“ (2012) und „Dota 2“ (2013) sind am beliebtesten. Der „Community Market“ von „Steam“ hat sich längst zu einer Art Ebay für digitale Videospiel-Gegenstände gemausert.

In dieser Vorgehensweise sind Lootboxen ein klasse Konzept, denn es ist eine Win-Win Situation für alle Beteiligten. Die Vertreiber haben eine zusätzliche Einnahme-Quelle, die Spieler bekommen zusätzliche Unterhaltung durch den gewissen Touch Individualisierung und werden durch den Weiterverkauf sogar noch finanziell für häufiges Spielen belohnt.

 

Mikrotransferaktionen - Steam Community Market / Quelle: https://steamcommunity.com/market

Startseite des Steam Community Shops. Quelle: https://steamcommunity.com/market

 

Der Branchen-Riese Eletronic Arts hat das Thema Lootboxen auch für sich entdeckt, ist bei der Umsetzung aber ein bisschen über das Ziel hinaus geschossen. In dem Action-Game „Star Wars Battlefront 2“ waren die Spieler gezwungen, verschiedene Inhalte per Zusatzzahlungen freizuschalten. Ohne die fehlten wichtige Gameplay-Elemente. Das Ärgerliche daran: „Star Wars Battlefront 2“ ist kein Free-2-Play-Spiel, das kostenlos heruntergeladen und angespielt werden kann. Es handelt sich um ein Videospiel, bei dem die Anschaffung schon rund 60 Euro kostet. Was folgte, war ein gewaltiger Shitstorm, der sich auch auf den Börsenwert auswirkte: Electronic Arts verlor drei Milliarden Dollar. Der Konzern ruderte daraufhin zurück und schaltete die kritisierten Hürden ab.

Dieser Vorfall ist auch einer der Gründe dafür, dass Mikrotransaktionen und Lootboxen in einigen Ländern die Aufmerksamkeit von Politikern in den höchsten Ebenen erregt haben. Die Regierungen von Belgien und den Niederlanden haben gehandelt und Lootboxen gänzlich verboten. Begründung: Es handele sich um unzulässiges Glücksspiel, bei dem vor allem Jugendliche Gefahr laufen würden, an Glücksspielsucht zu erkranken.

Ein Schritt der in seiner Härte sicherlich diskutabel ist und vor allem einen großen Eingriff in gängige Geschäftspraktiken bedeutet. Valve hat als erstes reagiert, die Lootboxen aus den eigenen Spielen vollständig entfernt sowie den „Community Market“ in diesen Ländern abgeschaltet. Electronic Arts versucht zumindest die Glücksspiel-Stigmatisierung der Lootboxen in ihrem Fußball-Dauerbrenner „FIFA 18“ abzuwenden.

 

Mikrotransaktionen - PUBG Lootboxen / Quelle: Privat

Beispiel von Lootboxen im Spiel Player Unknown’s Battlegrounds. Quelle: Privat

 

Fazit

Fest steht, dass Mikrotransaktionen so schnell nicht verschwinden werden, da sie momentan der Raketentreibstoff für die Umsatzzahlen der Games-Industrie sind. Außerdem ist der häufig damit verbundene Free-2-Play-Gedanke sehr uneigennützig und muss unbedingt erhalten werden. Und warum sollten die Entwickler für ihre Arbeit nicht entlohnt werden? Ob es jetzt Mikrotransaktionen oder Vollkaufpreis sind, macht am Ende keinen Unterschied für die Hersteller. Für die Spieler aber schon, denn sie können Spiele kostenlos antesten und mit etwas Geduld lange Zeit ohne einen Cent auszugeben genießen.

Für den E-Commerce hält dieses Konzept jedenfalls eine Menge Nachahmungspotential parat. Und auch Lehrstücke, wie man es nicht machen sollte. Die Grundidee bleibt die Gleiche: Erste Konversions-Hürden können mit kostenlosen Angeboten überbrückt werden (zum Beispiel keine Liefergebühren). Hat man den Kunden erst einmal für sich gewonnen, kann man ihn mit kostenpflichtigen Bonus-Mitgliedschaften oder sonstigen Aktionen bei der Stange halten. Der Kunde braucht persönliche Alleinstellungsmerkmale, die bei ihm das Gefühl des Besonderen aufkommen lassen. Dies kann durch kleine Zusatzzahlungen erreicht werden.

 

Bilder: netz98, BIU, Steam, freepik

 

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Hartwig Göttlicher
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