Bei der Digitalisierung geht es nicht nur um tolle Konzepte. Es geht auch darum, Mut zu beweisen und sein gut laufendes Geschäftsmodell selbst zu zerstören. Mittels dieser Disruption entstehen ganz neuen Möglichkeiten.
Was bei der Digitalisierung wichtig ist
Thorsten Dirks, ehemaliger Vorstandsvorsitzender von Telefonica, sagte einmal: „Wenn Sie einen Scheißprozess haben und den digitalisieren, dann haben Sie einen scheißdigitalen Prozess.“ Diese Aussage mag anstößig klingen, aber sie hat einen Hintergrund, den Unternehmen ernst nehmen sollten. Die Digitalisierung treibt seit ein paar Jahren kleine wie auch große Unternehmen gleichermaßen um. Es werden Konzepte verfasst, Visionen gesponnen, über die Umsetzung diskutiert, Budgets freigegeben, Teams strukturiert, Dienstleister beauftragt. Für alle Beteiligten ist der neue Wandel – die vierte industrielle Revolution – eine immense Herausforderung.
„Das Schwierige ist ja nicht die Digitalisierung an sich. Das Schwierige ist die Vereinfachung von Strukturen und Prozessen“, meinte Dirks ergänzend zu seinem provokanten Statement. Damit hat er recht. Doch auch mit einer Vereinfachung der Strukturen und Prozesse ist die Digitalisierung noch nicht zu Ende gedacht. „Kill your Business“ lautet zum Beispiel das zugespitzte Motto der Zukunftsinstitut Workshop GmbH. Deren Geschäftsführer Andreas Steinle erklärt die Idee dahinter folgendermaßen: „Kannibalisiere dein eigenes Geschäftsmodell, bevor es andere tun.“
Die Idee, ein eigenes Geschäftsmodell derart zu verändern, dass man damit sich selbst schadet, klingt nach einer wahnwitzigen Idee. Das kann doch keiner ernst meinen. Oder? Doch! Die radikale Denkweise der Kannibalisierung ist in den letzten Jahren zunehmend zu hören, gerade traditionsreichen Unternehmen wird sie empfohlen. Warum? Weil in den Zeiten der Digitalisierung aus unternehmerischer Sicht theoretisch jeder schnell zum Feind werden kann. Große Unternehmen müssen nicht nur gleichartige Mitbewerber fürchten, sondern ebenso kleine Start-ups.
Disruption bedeutet: Revolution statt Evolution
Viele Start-ups werden in ihrer Anfangszeit belächelt. Doch wenn sie Fahrt aufnehmen und mit rasanter Geschwindigkeit das umsetzen können, was sie sich als Ziel gesetzt haben, passiert etwas, womit keiner gerechnet hätte: Einem jungen Unternehmen gelingt die Disruption. Genau davor haben Unternehmen aus fast allen Branchen Angst. Deswegen schauen sie gespannt ins Silicon Valley, nach Berlin und zu anderen Gründer-Hochburgen, wo mit viel Kreativität, Innovationskraft und Energie radikal neue Konzepte und Produkte entstehen.
Disruption. Dieses „Buzzword“ wird mittlerweile inflationär verwendet. Was bedeutet es überhaupt, und was ist damit gemeint? Der amerikanische Wirtschaftswissenschaftler Clayton Christensen prägte Ende der 1990er-Jahre den Begriff Disruption. Er beschreibt ihn selbst folgendermaßen:
A disruptive technology is an innovation that simplifies the product and makes it so affordable that a whole new population of people can now have one and use it at the beginning for simple applications. And then it improves to the point that it makes the old technology obsolete.
Anders ausgedrückt: Einer disruptiven Erfindung gelingt es, bestehende Prozesse, Strukturen, Technologien oder gar ganze Industriezweige aufzubrechen und im extremsten Fall zu zerstören. An diese Stelle tritt dann eine neue, innovativere Lösung. Dieses Prinzip kennt man aus der Natur – es nennt sich Evolution. Da dieser evolutionäre Wettkampf („Survival of the fittest“) heutzutage meist auf Basis einer digitalen Erfindung geschieht, redet man auch vom „Digitalen Darwinismus”.
Nur innovativ zu sein, reicht nicht aus!
Unternehmen aller Größen haben gerade mit dem Digitalen Darwinismus zu kämpfen. Die Digitalisierung ist die Basis einer neuen industriellen Revolution („Industrie 4.0“), die so schnell wie noch nie zuvor in der Geschichte der Menschheit für neue Sieger und Verlierer sorgt. Der Motor hierfür ist die Innovationskraft, das Öl die Daten. Deswegen sind Google, Apple oder Facebook die Business-Giganten der Moderne. Diese Unternehmen wurden so erfolgreich, weil sie digitale Innovationen geschaffen haben.
Doch: Eine digitale Erfindung alleine reicht nicht aus, um dauerhaft erfolgreich zu sein! Denken wir an Yahoo, Nokia oder AOL. Diese Tech-Innovatoren zettelten vor rund 20 Jahren die digitale Revolution an, im Laufe der Jahre sind sie selbst unter die Räder gekommen. Sie waren nicht dauerhaft innovativ und wandlungsfähig – andere Disruptoren überholten sie links und rechts. Der bekannteste Gewinner aus diesem Highspeed-Rennen ist Amazon: Die US-Company war bei seiner Gründung im Jahr 1994 ein kleiner Onlinehändler für Bücher. Heute bietet das Unternehmen unter anderem ein überwältigendes Sortiment im B2C und B2B an, entwickelt Tablets, fährt Gewinne mit seinem Cloud-Geschäft ein und investiert massiv in Künstliche Intelligenz.
Wie funktioniert eine Disruption? Ein Beispiel: Die Musik-Industrie
Während früher Tonträger teuer verkauft wurden, vermieten heutzutage Anbieter wie Spotify oder Deezer den Zugriff auf gigantische Musikbibliotheken zu einem recht niedrigen Preis. Der Endkunde besitzt nichts mehr, sondern erkauft sich das Recht, Musikstücke eine begrenzte Zeit lang zu nutzen. Im Falle des Spotify-Tarifs „Free“ müssen die Musik-Liebhaber selbst gar nichts bezahlen, dafür allerdings Werbeunterbrechungen ertragen.
Dieses Beispiel zeigt ganz deutlich, wie echte Digitalisierung und damit eine Disruption umgesetzt wurde: Durch die technischen Möglichkeiten (Komprimierung von Musikstücken, Verbreitung über schnelles Internet, leistungsfähige Hardware wie MP3-Player oder Smartphones) geschah eine radikale Transformation der alten Strukturen, wodurch ganz neue Marktteilnehmer entstanden.
Auch mittelständische Unternehmen und Großkonzerne müssen denken wie ein Start-up
Was bedeuten diese Erkenntnisse zum Beispiel für deutsche, mittelständische Unternehmen? Sie müssen die Digitalisierung auf jeden Fall ernst nehmen! Die Zeit der Bedenken ist längst abgelaufen, der Digitale Wandel ist nicht mehr zu stoppen. Weder kann man ihn schlechtreden, noch ignorieren. Wenn Unternehmen auch in Zukunft noch überleben möchten, dürfen sie nicht erst jetzt mit einer Digitalstrategie beginnen, sondern sollten schon mitten in der Umsetzung stecken. Am besten haben sie bereits die ersten digitalen Lösungen veröffentlicht, gewinnen daraus wichtige Erkenntnisse und nutzen diese für ständige Weiterentwicklungen.
Die Digitalisierung ist eine Expedition, die kein festes Ende besitzt. Dafür müssen Unternehmen gewappnet sein. Das beginnt beim Mindset aller Mitarbeiter, deren Qualifizierung und ständiger Weiterbildung, geht bei den benötigten Tools und Plattformen weiter (zum Beispiel leistungsstarken E-Commerce-Plattformen für den B2B-Vertrieb) und endet nicht bei den erforderlichen Strukturen und Prozessen.
Um auf das anfängliche Zitat zurückzukommen: Digitalisierung bedeutet nicht, analoge Strukturen und Produkte lediglich digital umzusetzen. Das mag zwar kurzfristig einen Erfolg bringen, ist aber mittelfristig zu kurz gedacht. Wer die Digitalisierung ernst nimmt, denkt dabei ständig an eine Disruption. An den revolutionären Umbruch. An komplett neuartige Konzepte, welche die eigene oder eine fremde Branche aufbrechen. Und an Innovationen, die derart radikal sind, dass sie auch das eigene Geschäftsmodell zerstören können.
Fazit
Disruptive Innovationen zu erfinden und erfolgreich umzusetzen, das ist eine gewaltige Herausforderung. Eigentlich sind wir Menschen sehr konservativ und nur schwer für Neues zu begeistern. Meist herrscht eine angeborene Abneigung gegen das Neue und vermeintlich Bessere vor.
Eisenbahnen, Autos, Computer, Handys oder das Internet waren bahnbrechende Erfindungen, doch anfangs gab es in der breiten Masse stets Bedenken. Der Weg zum Erfolg war steinig. Aber er lohnte sich: Heutzutage möchten die wenigsten auf schnelle ICE-Verbindungen, ihr Smartphone oder den Videostreaming-Account verzichten. Unternehmen, die sich der Digitalisierung stellen, haben mit altbekannten Problemen zu kämpfen. In vielen Köpfen herrscht noch Skepsis vor, diese mündet unter Umständen in Ablehnung und in einer Starre. Doch den Kopf in den Sand zu stecken, macht keinen Sinn. Agieren statt Reagieren muss das Motto sein!
Die vermeintliche Gefahr ist eine gewaltige Chance, wenn man sie richtig anpackt und den eisernen Mut zum Umbruch mitbringt. Dann kann aus der Digitalisierung eine Disruption entstehen, wodurch sich Unternehmen einen Vorteil im Digitalen Darwinismus sichern.
Bilder: netz98