Der Einzelhandel verliert an Boden. Wenn er mehr vom Onlinehandel lernt, könnte er wieder bei den Kunden punkten. Mögliche Lösungen sind digitale Dienste und Mehrwerte im Rahmen einer Cross- bzw. Omnichannel-Strategie.
Der Einzelhandel leidet unter dem Onlinehandel
Wird der Einzelhandel durch den boomenden E-Commerce aussterben? Oder wird es eine Koexistenz geben? Da kein Mensch weiß, was die Zukunft bringt, lassen sich diese Fragen nicht genau beantworten. Sicher ist aber, dass der immer noch stark boomende Onlinehandel (durchschnittliche Wachstumsrate: weit über 10%) seit einigen Jahren dem Einzelhandel schwer zu schaffen macht.
Bis zum Jahr 2020 könnten alleine in Deutschland bis zu 50.000 Läden verschwinden, prognostizierte vor drei Jahren Josef Sanktjohanser, Präsident des Deutschen Handelsverbandes HDE. Das Institut für Handelsforschung (IFH) beschwichtigte 2017 diese Aussage. “Das Ladensterben gehe nicht so schnell voran, wie man befürchtet habe”, attestierte Boris Hedde von der IFH. “Denn der Einzelhandel hat in den vergangenen Jahren von einer ungewöhnlich guten Nachfrageentwicklung profitiert.“ Eine Entwarnung kann er trotzdem nicht geben.
Das Ladensterben in den Innenstädten wird zum Teufelskreis
Über 60% der Retailer beklagen sich laut dem HDE bereits über zurückgehende Besucherzahlen. Kein Wunder: Jeder fünfte Deutsche geht weniger als früher in die Innenstadt (Quelle: IFH-Studie), da die Einkäufe zunehmend online erfolgen.
Trotz dieser schlechten Zahlen sind sich verschiedene Experten aber einig: Der Onlinehandel wird nicht den gesamten Einzelhandel ausradieren, dafür ist er viel zu groß und immanent wichtig. Zudem empfinden über die Hälfte der Bundesbürger das Shoppen in der Stadt an einem freien Tag als eine schöne Sache. Das fand die KPMG in ihrer Studie “Trends im Handel 2025” heraus.
Der Umbruch ist trotz alledem gegenwärtig, gerade in den Innenstädten. Hier entsteht mittlerweile ein Teufelskreis: Das Ladensterben macht das Shoppen und Bummeln unattraktiver, wodurch mehr potentielle Kunden wegbleiben – und so das Verschwinden des Einzelhandels beschleunigen.
Um das zu unterbinden und auch eine Erosion im Einzelhandel im Gesamten zu verhindern, gibt es verschiedene Maßnahmen, die ergriffen werden können. Das fängt bei der Lockerung der Ladenöffnungszeiten an, geht bei der attraktiveren Gestaltung der Innenstädte weiter und endet nicht erst bei der Steuergesetzgebung. Ein wichtiger Punkt ist, dass der Einzelhandel sich wieder mehr auf seine Stärken besinnt. Dazu gehören die Kundennähe und die persönliche Beratung.
Cross-Channel: Retail + E-Commerce = perfekte Kundenansprache
Eine weitere Lösung, um den Abschwung im Einzelhandel abzufedern, ist, den E-Commerce und andere digitale Techniken in die DNA des Retails aufzunehmen.
“Die Digitalisierung lässt Vertriebskanäle immer mehr zusammenwachsen. Kunden nutzen heute ganz selbstverständlich verschiedenste Einkaufsmöglichkeiten parallel und verschaffen sich so ein nahtloses Shopping-Erlebnis”, so die KPMG in ihrer Handelsstudie. Obwohl Deutschland insgesamt in einigen Dingen den Anschluss an die Digitalisierung verschlafen hat, so gilt das nicht unbedingt für das Kaufverhalten der deutschen Konsumenten: sie agieren schon ziemlich digital.
Die Bundesbürger erwarten beim Einkaufen bereits heute digitale Mehrwerte und Dienstleistungen: Die Händler ihres Vertrauens sollten einen Onlineshop besitzen, wo die gewünschten Produkte am besten online reserviert und dann im Laden abgeholt werden können. Auch Apps, Smartphone-optimierte Webseiten oder das mobile Bezahlen sind gefragt.
Die deutschen Konsumenten erwarten vom Einzelhandel moderne, digitale Angebote. Die Nachfrage danach wird mit aller Voraussicht steigen. (Quelle: Kantar TNS / KPMG)
Obgleich der reine Onlinehandel auch in naher Zukunft weiter wachsen wird, so zeigt sich, dass die Deutschen den Einzelhandel noch nicht abgeschrieben haben. Dafür wünschen sie sich aber Services, die sie aus dem E-Commerce kennen. Die Lösung dafür ist eine Cross- und Omnichannel-Strategie, bei der die Touchpoints miteinander verzahnt werden: Einzelhandel, E-Commerce und mobile Dienste verschmelzen zu einem Angebot.
Was bedeuten Multichannel, Cross-Channel und Omnichannel?
- Beim Multichannel werden von einem Unternehmen verschiedene Verkaufskanäle genutzt, diese sind aber nicht miteinander verzahnt.
- Cross-Channel: Die verschiedenen Vertriebskanäle sind miteinander vernetzt. Die Kunden können sich kanalübergreifend informieren und die Waren bestellen.
- Omnichannel stellt die Weiterentwicklung des Cross-Channel-Konzeptes dar, bei dem die Grenzen zwischen Online- und Offline-Einkaufserlebnis deutlicher verschmelzen. Weiterentwicklungen des Begriffs sind No-Line Commerce und Everywhere Commerce, die im Grunde das Gleiche besagen.
Wie können Retail und Onlinehandel zu einem stringenten Erlebnis werden?
Dafür gibt es bereits verschiedene Lösungen, die zigfach praktiziert werden. Da wäre zum einen Click & Collect. Das bedeutet, die Kunden bestellen etwas im Onlineshop eines Anbieters, die Waren werden aber an eine Wunschfiliale geliefert. Das können Kleidungsstücke, Haushaltsgeräte oder Möbel sein.
Hierdurch entsteht eine engere Bindung zwischen den beiden Parteien: Der Kunde kann seine online bestellte Ware im Ladengeschäft genau anschauen, austesten und bei Gefallen mitnehmen. Der Retailer kann mit seiner Beratungskompetenz und durch Service-Leistungen (zum Beispiel der Reparatur von Fahrrädern, siehe FOCUS Bikes) punkten, um den Kunden an sich zu binden.
Zum anderen gibt es den E-Commerce-Trend auch in die andere Richtung: Die Kunden schauen sich im Ladengeschäft die gewünschten Produkte an und legen sie dort bereits in ihren Online-Warenkorb. Beispielsweise, indem Kleidungsstücke vor dem Anprobieren mit einer speziellen Tablet-App gescannt werden.
Im zukünftigen Omnichannel Commerce nehmen Smartphones, Smartwatches und andere mobile sowie smarte Devices deutlich an Bedeutung zu. (Bild: netz98)
Neue Vertriebswege, neue Herausforderungen
Durch die Verknüpfung von Online- und Offline-Kanälen muss eines immer im Fokus stehen: der Kunde! Welche Wünsche und Erwartungen hat er? Gerade durch das Onlineshopping haben sich diese verändert: Der digitale Konsument möchte Tag und Nacht, sieben Tage die Woche einkaufen können. Und das möglichst einfach, bequem und schnell.
Durch einen Onlineshop kann ein Einzelhändler schneller und direkter mit seinen Kunden kommunizieren, beispielsweise per Mail oder per Chat. Und aufschlussreiche Produktinformationen inklusive Bilder, Videos, Anleitungen, FAQs und Kundenrezensionen erhöhen die Kaufwahrscheinlichkeit.
Online bestellen, im Ladengeschäft abholen: Immer mehr Unternehmen setzen auf Cross-Channel (Bild: FOCUS Bikes)
Wird neben Click & Collect auch eine einfache und eventuell kostenlose Versandmöglichkeit angeboten, ist es dem Retailer möglich, seinen Kundenstamm zu erweitern. “Wir kannibalisieren uns zum Glück nicht mit dem Ladengeschäft, sondern erweitern dessen Kundenkreis bis nach Berlin und Süddeutschland”, erklärt Thomas Grimme, Geschäftsführer des Cloppenburger Haushaltswarengeschäftes Bley. Mit dieser Wachstumsstrategie generiert das Familienunternehmen jährlich einen sechsstelligen Umsatz – alleine über die Verkäufe im Onlineshop.
Um solche Erfolge feiern zu können, müssen sich Einzelhändler auf das Online-Business einlassen und es verstehen. Jeder Kanal funktioniert anders. Kaufhäuser waren beispielsweise über viele Jahrzehnte beliebt, da sie ein breites, aber durchschnittliches Angebot offerierten. Online funktioniert aber ein derartiges Mittelmaß meist nicht. Solch ein Manko mit “Kampfpreisen” auszugleichen, kann nach hinten losgehen: die Kunden sind verwirrt und die Margen schmelzen zusammen.
Somit gilt: Onlinehandel und Einzelhandel sollten zwar wie aus einem Guss wirken, trotzdem muss jeder Kanal mit seinen individuellen Besonderheiten betreut werden. Dafür ist es unerlässlich, die Konkurrenzsituation zu studieren und seine Zielgruppen ganz genau zu kennen.
Fazit
Eine große Vielfalt, persönliche Beratung oder eine schnelle Verfügbarkeit: Mit Cross- und Omnichannel-Konzepten bekommen die Konsumenten das Beste aus dem Einzel- und Onlinehandel. Und die Unternehmen erhalten wieder einen besseren Zugang zu ihren Kunden. Eine Win-Win-Situation. Eine, bei der es nicht mehr Online versus Offline, sondern Online mit Offline heißt.
Bilder: Freepik, KPMG, FOCUS Bikes